BAUSTEiNE KiNDERGARTEN

Endlich im Ruhestand. Ein Leben nach der Kita?

Endlich im Ruhestand. Ein Leben nach der Kita? Frau entspannt im Garten
© jd-photodesign – Adobe Stock

Im neuen Teil der Kolumne „Das ist ja wie im Kindergarten“ schreibt Tanja Siepmann sehr persönlich über den Ruhestand einer Kitaleitung und darüber, was das für Gefühle auslöst.

Feierabend

Es ist leise auf dem Flur. Die Kinder, deren Stimmen tagsüber das Haus mit Leben gefüllt haben, sitzen längst Zuhause am Abendbrottisch, neben Eltern, die sich ihrem Feierabend entgegensehnen.

Keine kleinen Füße rennen eilig über den Flur. Niemand zählt die Treppen beim Auf- und Abstieg und in den Waschräumen schweigen die Wasserhähne. Kein Gekicher beim gemeinsamen Toilettengang, keine lautstarken Streitereien um Spielzeug und kein sehnsuchtsvolles Weinen, weil Mama nicht da ist. In den Schuhregalen täuschen die Gummistiefel vor, sie könnten kein Pfützenwässerchen trüben, Hausschuhe verstecken sich unter Bänken, gespannt darauf hoffend, am nächsten Tag gefunden zu werden. Auf den Mützenablagen mischen sich Steine und Stöckchen mit Socken und Basteleien, die auf der Suche nach einem würdigen Ausstellungsort sind. Die Matschjacken und -hosen an den Haken erzählen Geschichten von wilden Schlammschlachten und Rutschpartien. Vergessene Pipibeutel, erinnern an große und kleine Missgeschicke des Tages und an die Hoffnung, dass es morgen bestimmt klappen wird, mit der trockenen Hose. Auf dem Boden liegt ein verlorenes Wackelauge und schaut zur Decke.

Der letzte Arbeitstag in der Kita

Sie steht auf dem Flur und hängt ihren Gedanken nach. Über viele Jahre war sie Leitung dieses Hauses. Die Anführerin des Teams, die gute Seele der Einrichtung. Unzählige Familien hat sie willkommen geheißen, hunderte Kinder wurden unter ihrer Lenkung eingewöhnt, gefördert und in die Schule verabschiedet. Es gab Konflikte zu klären, Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen oder auszuhalten, und Räume zu gestalten und Feste zu feiern. „Selbst ist die Frau“ war immer ihr Motto, und wenn es Möbel zu schleppen und zu schieben gab, war sie garantiert an einem Ende des Transportgutes zu finden. Sie hatte für alle ein offenes Ohr und wer eine gute Idee vorbrachte, rannte nicht nur offene Türen bei ihr ein, sondern erhielt vollständigen Support. Sie verteilte zweite Chancen wie Bonbons und war sich nie zu schade, einen Rabatt herauszuholen oder Tabuthemen anzusprechen. Auch wenn es die Peinlichkeitsgrenze manchmal überschritt. In der Bilderbuchbibliothek der Kita spiegelt sich ihre Leidenschaft für gute Kinderliteratur wieder und im Vorratskämmerchen ihre Großzügigkeit für Neuanschaffungen von Spiel- und Bastelmaterialien.

Ihr Blick fällt auf die Infowand und sie stellt fest, dass all die wichtigen Informationen für sie von heute an in die Bedeutungslosigkeit gerutscht sind. Der Kalender auf dem Schreibtisch diktiert ihr nicht mehr, wann sie was zu tun hat und die Uhr an der Wand ist nicht mehr verantwortlich für die Einteilung ihres Arbeitsages. Ein Gefühl von Freiheit, das sich gut anfühlt.

Alles vorbereitet für die Nachfolge

Sie betritt ihr Büro, das, seit sie alle ihre privaten Besitztümer herausgetragen hat, nicht mehr nach ihrem Büro aussieht. Die Fläche des Schreibtisches ist aufgeräumt, ein Zustand, der sich im Arbeitsalltages selten gehalten hat. Die Schubladen sind ausgemistet und sortiert. Alles ist vorbereitet für den oder die Nachfolgerin. Es wird nicht leicht, ihre Fußstapfen auszufüllen. Aber für sie spielt das heute keine Rolle mehr. Von heute an keinen Ärger mehr mit Computerprogrammen, die nicht richtig laufen, kein Papierstau mehr im Drucker und keine Auseinandersetzung mehr mit Telekomunikationsanbietern wegen der miserablen Internetverbindung. Statt schwierige Elterngespräche wartet gemeinsame Zeit mit den eigenen erwachsenen Kindern. Statt Supervision im Team, freut sie sich auf fröhliche Treffen mit Freunden und statt (un)sinniger Weisungen der Fachbereichsleitung erfüllen zu müssen, wird freie Meinungsäußerung ihre neue Maxime (wobei, mit ihrer Meinung hat sie nie hinter dem Berg gehalten)! Wenn ihr jetzt nach Musik zu Mute ist, wird es nicht mehr der gemeinschaftliche Kita Singkreis. Nein, sie dreht Michael Patrick Kelly laut auf und grölt voller Inbrunst „Take me to a golden age“. Mal sehen, vielleicht wird sie sogar sein Groupie und reist ihm hinterher, um keines seiner Konzerte mehr zu verpassen. Ihre Sehnsuchtsinsel wird sie zukünftig besuchen, wann immer sie möchte und es ihr Geldbeutel zulässt und die Besuche in ihrer Lieblingsbuchhandlung werden sich wegen mehr Lesezeit vermutlich häufen. Ihr Hund muss sich daran gewöhnen weniger „me time“ zu haben, und den ein oder anderen Spaziergang mehr mit ihr machen zu müssen.

Pädagogische Haltung geht nicht in den Ruhestand

Mit dem letzten Arbeitstag und dem damit beginnenden Ruhestand enden alle beruflichen Pflichten, aber pädagogische Haltungen gehen nicht in Rente. Wer sich so viele Jahre in diesem Berufsfeld aufhält und engagiert, legt nicht einfach den Schraubenschlüssel weg und hört damit auf oder? Zudem sichert das Arbeitsleben ja nicht nur den Lebensunterhalt, sondern auch soziale Kontakte. Wer im pädagogischen Bereich unterwegs war, befand sich über Jahre täglich in einem summenden Bienenstock. Wenn das Summen aufhört, kann die Ruhe erholsam aber auch beängstigend werden. Wer sich zudem in einer leitenden Position befunden und sich in seiner eigenen Person ein Stück weit darüber definiert hat, ist gut beraten, auf die Suche nach neuen Lebensinhalten und Beschäftigungen zu gehen.

Und dann bleibt da ja das ganze „Lebenswerk Kita“ mit seinem Konzept, seinem Team, den Eltern und Kindern zurück. Ein Lebenswerk, das in gute Hände übergeben werden will. Loslassen ist da keine leichte Aufgabe.

Die Kita war ein wichtiger Teil ihres Lebens

Aber zurück zu unserer Leitung im Ruhestand. Dass sie es bis hierher geschafft hat, ist mehr Ausnahme als Regel. Berufsunfähigkeit vor Eintritt des Rentenalters wegen körperlicher und psychischer Problematiken sind im Berufsfeld der Pädagogik keine Seltenheit. Den Teil von uns nicht zu vergessen, der aus- oder umsteigt, weil die Arbeitsbedingungen nicht mehr tolerierbar sind. Aber unsere Leitung hat durchgehalten. Die Kita war ein wichtiger Teil ihres Lebens. Das der heutige Tag kommen würde, war abzusehen. An schlechten Tagen wurde er hoffnungsvoll herbeigesehnt, an guten Tagen blieb er ein fiktives Datum. Aber auch ein weitentferntes Ziel ist irgendwann erreicht. Und wer nach Ankunft nicht auf der Stelle stehen bleiben möchte, braucht neue Ziele.

Das Buch des Lebens schließt für sie heute ein vergangenes Kapitel und schlägt ein Neues auf. Und das hat hoffentlich noch viele Seiten zu füllen. Also, just do it now!

Für meine Leitung mit Herz und alle, die bald in den Ruhestand gehen.

Kolumnistin Tanja Siepmann

Tanja Siepmann ist Erzieherin und freie Autorin.

Tanja Siepmann Tanja Siepmann

Kommentare zur Kolumne

Ich kenne sie persönlich, hab seinerzeit als Kollegin mit ihr gearbeitet und mit ihr gemeinsam die Ausbildung zur Heilpädagogin gemacht. Eine wunderbare Beschreibung für eine tolle Person. Stellvertretend für viele, die Pädagogik nicht einfach nur gelernt haben. Neben der Liebe zum Kind kommt bei ihr als Leitung wohl auch die Gabe zur Mitarbeiterführung dazu. Da fällt der Abschied schwer.
von Michaela S.

Diese Kolumne zeigt, alles richtig gemacht. Jetzt muss ich mich der neuen Herausforderung stellen – Rentner-Dasein. Ich hoffe für diese Aufgabe genauso zu brennen wie für den Kita Alltag
Hoffe Michael Patrick Kelly akzeptiert so einen alten Groupie
Es ist und bleibt mein Traumberuf
Danke Tanja! Du rockst es auch!!!
von Dorothea H.

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