BAUSTEiNE KiNDERGARTEN

Der Eingewöhnungspoker in der Kita

Der Eingewöhnungspoker in der Kita, Erzieherin mit Kleinkindern
© RioPatuca Images – Adobe Stock

Im neuen der Teil der Kolumne „Das ist ja wie im Kindergarten“ dreht sich alles um die Eingewöhnungszeit und den damit verbundenen Eingewöhnungspoker mancher Eltern. Insofern richtet sich Tanja Siepmann mit diesem Text nicht nur an die pädagogischen Fachkräfte, sondern spricht die Eltern auch direkt an. Viel Spaß beim Lesen!

Die Eingewöhnung der neuen Kinder!

Dieser Text ist vermutlich wie ein Brief, der seinen Empfänger nie erreicht, weil verzogen. Sowie eine Nachricht auf dem Küchentisch, verschüttet unter einem Stapel von Post und ausgelesenen Zeitungen, die unbeabsichtigt und ungelesen ihr Ende im Altpapier findet. Wie eine Liebesbotschaft in der U-Bahn, deren Worte vom einfahrenden Zug mitgerissen werden, noch eh sie das Ohr des Angebeteten erreichen. Eine WhatsApp® Nachricht, die niemals zwei blaue Haken meldet und darum unbeantwortet bleibt. Warum? Weil die Berufsgruppe, an die ich mich hier wende, also pädagogische Fachkräfte, gerade mit etwas anderem beschäftigt ist. Etwas, was deren volle Aufmerksamkeit, Kraft und Hingabe fordert und unter Umständen dafür sorgt, dass der Tag mit leerem Blick und leerer sozialer Batterie auf der Couch endet. Die Gesichtsmuskeln verkrampft, vom Dauerlächeln, sprachlos, weil schon am Nachmittag alle 16.000 Wörter verbraucht wurden, die ein Mensch im Durchschnitt täglich spricht. Die Eingewöhnung der neuen Kinder!

Alles ist für die Ankunft der neuen Kinder vorbereitet

„In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, meinte schon Hermann Hesse. Und frei nach diesem Motto ist alles bestens auf die Ankunft der neuen Kinder und Eltern vorbereitet. Im Waschraum wartet der Wickeltisch aufgeräumt und frisch desinfiziert auf neue Herausforderungen. Neue Wickelbücher liegen bereit, jedes noch so kleine Geschäft zu dokumentieren. Schubladen warten geputzt und mit Namenschilder versehen darauf mit Handtüchern, Windel, Feuchttüchern und Wechselkleidung gefüllt zu werden. Toilettenpapierrollen harren ihrem Schicksal entgegen, schon bald in Gänze von kleinen Kinderhänden im Klo versenkt zu werden.

In den Gruppenräumen warten altersentsprechende Spiel- und Lernerfahrungen darauf eingespeichelt, zweckentfremdet und im Raum verteilt zu werden. Ihre robuste Beschaffenheit strotzt jedem Rivalitätskämpfchen. Alles was unter der Belastung zweier zerrenden Händchenpaare kaputt gehen könnte, ist in die oberen Regalabteile versetzt worden, zu denen nur die Großen Zugriff haben. Ebenso die Materialien, die unbeabsichtigt und unautorisiert, im Magen-Darm-Trackt der U3-Kinder landen könnten, Bügelperle, ick hör dir trapsen! Grundsätzlich gilt, wer den Eltern beim Abholen ein unbeschädigtes Kind, mit unbeschädigter Frisur und Kleidung übergeben möchte, verbannt Bastelschere, Prickelnadel und Co ebenfalls ins Exil auf Zeit.

Alles wird mit Namen versehen

Eigentumsfächer und Garderobenhaken sind mit den Fotos der neuen Kinder versehen, in den Erzieherschränken warten frisch angelegte Kinderakten auf ihren Einsatz. Nebenräume und Elterncafés sind aufgeräumt und mit Kaffeebar und Sprudelwasser ausgestattet, damit die wartenden Eltern es sich dort gemütlich machen können.

Spielen im Außengelände lässt den Abschiedsschmerz häufig schnell vergessen

Das Sommer und Eingewöhnungszeit so eng beieinander liegen, hat sich das Universum, unser Schöpfer, Mutter/Vater Erde oder das Landesjugendamt (bitte suche Dir hier wahlweise aus, an was Du glaubst) richtig gut ausgedacht. Denn wenn das Wetter mitspielt, können wir mit den kleinen Neuzugängen aufs Außengelände ausweichen. Hier lassen Fahrzeuge, Spielgeräte, Sandkasten und Natur den Abschiedsschmerz schnell vergessen und die ersten Stunden ohne Mama und Papa gehen im Nu um.

Das Berliner Eingewöhnungsmodell

Kommen wir zum heikelsten Teil der Eingewöhnung, welches ich hier nicht unbehandelt lassen will. Der Eingewöhnungspoker mit den Eltern.

Finden die meisten Eltern bei der Anmeldung das behutsame Vorgehen des Berliner Eingewöhnungsmodelles noch gut und problemlos umzusetzen, so fangen die ersten bereits an Tag vier an, unruhig zu werden und um zeitliche ausnahmen zu verhandeln. In der ersten Woche nur eine Stunde bleiben zu dürfen, obwohl das Kind doch augenscheinlich Spaß hat und gerne länger bleiben möchte, ist hier und da nicht verständlich. Schließlich steht der Tag fest, an dem beide Elternteile wieder voll in den Beruf einsteigen müssen und für manche fühlt es sich so an, als würden sie mit Lichtgeschwindigkeit darauf zurasen, während die Eingewöhnung in der Kita im Zeitlupentempo voran geht. Ich kann das gut verstehen. Der Druck auf Familien ist groß, die finanziellen Belastungen müssen gestemmt werden. Zudem hat sich in Politik und Gesellschaft inzwischen eine Erwartungshaltung an junge Mütter entwickelt, möglichst schnell wieder in den Beruf einzusteigen. Und wie das in der Physik mit Druck so ist, sucht er sich seinen Ausweg an der schwächsten Stelle. In unserem Fall bei den Kindern. Optimalerweise sollen sie möglichst schnell, möglichst problemlos in das Kitaleben eingewöhnt werden und so schnell es geht in vollem Umfang der Betreuungszeit in der Kita bleiben. Und wie das in der Physik mit Kindern so ist, entsprecht ihr Verhalten sehr selten den Vorstellungen der Erwachsenen, schon gar nicht unter Druck!

Der Eintritt in die Kita ist ein lebensverändernder Einschnitt

Wir dürfen aber nicht vergessen, was für ein großer, lebensverändernder Einschnitt der Eintritt in die Kita für Kinder ist. Alles ist neu und fremd. Menschen, Umgebung, Tagesablauf, Regeln. Ein Kitatag ist für Kinder so anstrengend wie ein Arbeitstag für Erwachsene. Die Eingewöhnung ist keine Hürde die schnell zu überwinden ist, sondern die Grundlage für eine gelungene und fruchtbare Kindergartenzeit. Trotzdem werden wir immer wieder damit Diskussionen konfrontiert, in denen Eltern um Ausnahmen und schnelleres Vorgehen verhandeln. Für mich der kräftezehrendste Teil an der Eingewöhnungszeit, hin und her gerissen zwischen dem Wissen, was Kinder brauchen und dem zeitlichen Druck unter dem Eltern stehen.

Damit erzähle ich den Kolleginnen und Kollegen nichts Neues, und das die gerade keine Zeit haben, das hier zu lesen, erwähnte ich ja schon. Dann nutze ich doch jetzt die Gelegenheit und wende mich an all die Eltern, die mitten in der Eingewöhnung ihrer Kinder stecken und jetzt gerade in den Nebenräumen und Elterncafés deutscher Kitas sitzen. Ich weiß doch, dass Sie gerade auf Ihr Handy, schauen um die Wartezeit zu überbrücken.

Liebe Eltern, was ich Ihnen gerne sagen möchte

Sie machen das toll und sie geben ihr Bestes. Sie sind die Experten für ihr Kind und wir brauchen Ihre Expertise, um unsere Arbeit gut machen zu können. Und glauben Sie mir bitte, wenn ich Ihnen sage, dass auch wir unser Bestes geben wollen und bereit sind uns als Person und unserem gesamten Fachwissen darin einzubringen. Es liegt nicht in unserer Absicht, Sie zu ärgern oder in irgendeiner weisen Macht auf Sie auszuüben. Wir wissen um die Herausforderungen, derer Sie als Eltern ausgesetzt sind. Es liegt uns aber am Herzen, dass Ihr Kind gut bei uns ankommt, Beziehungen aufbauen kann und sich in der Kita wohl fühlt. Ihr Kind soll sich hier entfalten und entwickeln dürfen. Dafür braucht es zwei wichtige Zutaten, Zeit und Beziehung. Unsere Vorratsdosen sind gut gefüllt und wir sind bereit im Überfluss davon auszuteilen.
Ach und … Herzlich Willkommen in der Kita, schön dass Sie da sind!

Kolumnistin Tanja Siepmann

Tanja Siepmann ist Erzieherin und freie Autorin.

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