In diesem Teil der Kolumne „Ein Herz für Kita-Coaching“ beschreibt Andrea Höddinghaus wie man als Kitaleitung Konflikte angehen kann, wenn man das Gefühl hat, als Leitung selbst Teil des Problems zu sein.
Wenn Du als Leitungskraft (plötzlich) Teil des Problems bist!
Stell dir vor, Du hast jahrelang als Erzieherin in einer Kita gearbeitet. Du kennst die Abläufe, die Kinder, die Eltern – und vor allem auch Dein Team.
Deine Rolle hat sich verändert: Du bist inzwischen Leitungskraft. Dein Alltag hat sich gedreht, Du triffst Entscheidungen, entwickelst Visionen und trägst Verantwortung für die Kita, Dein Team und auch für Dich selbst. Du hast noch nicht so viel Erfahrung in der Führung und bist ein bisschen auch ins kalte Wasser gesprungen. Für eine Übergabe und Einarbeitung war, wie in so vielen Fällen, einfach keine Zeit.
Mit guten Absichten, voller Energie, vielen Ideen und bestem Wissen und Gewissen legst Du los. Schließlich weißt Du genau, wo Du was verändern und modernisieren möchtest. Endlich kannst Du etwas bewegen.
Doch schon nach kurzer Zeit spürst Du: Irgendetwas stimmt hier nicht. Dein Team wirkt genervt, blockiert einzelne Prozesse, die Stimmung ist irgendwie gereizt. Aufgaben bleiben einfach liegen, es wird gelästert, die Fronten verhärten sich. Es wird mehr hinter Deinem Rücken geredet als miteinander und mit Dir.
Bei einem Versuch mit einer Teamentwicklung in die Analyse zu gehen, gemeinsam am Team-Alltag zu arbeiten und die Wogen zu glätten, eskaliert die Situation – und Du stehst (plötzlich) mittendrin. Schwierigkeitsstufe 2. Komisch. Als Du noch Erzieherin warst, hättest Du Dich gefreut, wenn endlich einmal jemand Dinge angeht.
Es wird klar: Du bist hier nicht nur Leitungskraft, sondern auch Teil des Problems. Das Gute daran? Du bist auch Teil der Lösung!
Konflikte verstehen – Ein Blick auf die Dynamik im Team
Konflikte sind in Teams normal, vor allem in Veränderungssituationen. Als Leitungskraft hast Du nicht nur fachliche, sondern auch emotionale Verantwortung.
Gerade wenn Du direkt aus dem Team kommst, sind die Rollen oft noch unscharf. Du bist nicht mehr „eine von ihnen“, wirst aber möglicherweise noch so behandelt – oder fühlst Dich selbst unsicher in der neuen Rolle. Als Führungskraft hast Du mehr Möglichkeiten zur Gestaltung, d.h. Du erlebst Konfliktsituationen aus einer anderen Perspektive, mit mehr Handlungsspielraum als Deine Teammitglieder. Das macht die Situation leichter für Dich.
Gleichzeitig stehst Du unter Druck: Erwartungen von oben, dein Anspruch an Dich selbst und das Bedürfnis, alles „richtig“ zu machen. Du fragst Dich, warum Du diese Führungsrolle eigentlich übernehmen wolltest …
Dein Team hingegen erlebt die Veränderung hier ganz anders. Mehr als Belastung. Gewohnte Abläufe werden hinterfragt, Unsicherheiten entstehen.
Manche fühlen sich übergangen oder nicht gehört, andere verweigern sich, weil sie glauben, dass „früher alles besser“ war.
Gerade in Veränderungssituationen, die das Team nicht selbst gewählt hat, macht es Dir das nicht einfacher. Im Gegenteil.
Die Fronten verhärten sich und der Konflikt eskaliert – meist erst einmal unbemerkt.
Eskalationsstufen nach Glasl
Hier kann das Modell der neun Eskalationsstufen nach Glasl helfen, um die Dynamik zu verstehen. Dieses Modell beschreibt wie Konflikte schrittweise, intensiver und destruktiver werden können, von anfänglichen Spannungen bis hin zu komplett zerstörerischen Auseinandersetzungen. Es gliedert den Verlauf in drei Phasen (Win-Win, Win-Lose, Lose-Lose) und zeigt auf, wann welche Interventionen möglich sind, bevor ein Konflikt unlösbar wird. Je weiter der Konflikt eskaliert, desto schwieriger ist es, ohne externe Hilfe eine Lösung zu finden.
- Verhärtung: Erste Spannungen treten auf, Meinungsverschiedenheiten entstehen.
- Debatte: Diskussionen werden schärfer, Argumente dominieren.
- Taten statt Worte: Fronten bilden sich, Kommunikation wird abgebrochen.
- Koalitionen: Parteien schließen sich zusammen, dass „Wir gegen die“-Gefühl wächst.
- Gesichtsverlust: Persönliche Angriffe nehmen zu, Vertrauen schwindet.
- Drohstrategien: Eskalation durch Androhung von Konsequenzen (z.B. Kündigung).
- Begrenzte Vernichtung: Aktiv schädigendes Verhalten tritt auf.
- Zersplitterung: Vernichtung des Gegners wird angestrebt.
- Gemeinsam in den Abgrund: Der Konflikt wird zerstörerisch, auch für das Umfeld.
In unserem aktuellen Beispiel liegt der Konflikt ungefähr zwischen Stufe 3 und 5. Die Situation eskaliert, es fehlt an Vertrauen und die Sprache wird härter. Was kannst Du auf welcher Stufe tun?
Bei Stufe 1–3 (noch gestaltbar): frühzeitige Klärung, strukturierte Gespräche, Regeln einführen, Fokus auf gemeinsame Lösungen legen.
Bei Stufe 4–6 ohne (externe) Hilfe droht eine weitere Eskalation, Teamumbau sinnvoll. Fronten aufbrechen, Fokus auf Teamkultur, klare Leitlinien und sichere Räume schaffen.
Bei Stufe 7–9 (Teamstruktur oft irreparabel, Fokus liegt auf Neubeginn): Schadensbegrenzung, klare Konsequenzen, Trennung von Konfliktparteien oder kompletter Teamneubeginn.
Chancen, Risiken (und Nebenwirkungen)
Schauen wir uns einmal die Chancen und Risiken an. Was kannst Du tun, wenn Du in einer ähnlichen Situation steckst?
Chancen:
- Offenheit für Veränderungen fördern
- Vertrauen durch Selbstreflexion stärken
- neue Teamregeln und Strukturen schaffen
- persönliche Entwicklung als Führungskraft möglich
Risiken:
- weitere Eskalation des Konflikts
- Verlust von Teammitgliedern durch Kündigung
- negative Auswirkungen auf die Arbeitsqualität
- nachhaltige Zerrüttung des Teams
Was kannst Du als Führungskraft tun?
Wenn Du selbst Teil des Konflikts bist, braucht es Mut, Ehrlichkeit und eine klare Strategie. Hier sind einige Ansätze und Ideen, die Dir helfen, damit umzugehen:
- Reflexion: Nimm dir Zeit, um Dein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Welche Entscheidungen oder Kommunikationsweisen könnten das Team überfordert haben? Feedback von außen oder ein Coaching, kann Dir helfen, blinde Flecken zu erkennen.
- Kommunikation auf Augenhöhe: Lade Dein Team zu einem offenen Gespräch ein. Verzichte auf Vorwürfe und beginne mit einer ehrlichen Selbstreflexion. „Mir ist bewusst, dass ich vielleicht zu schnell vorgegangen bin. Das war nicht meine Absicht, aber ich sehe, dass es euch belastet hat.“
- Rollenklärung: Mache deutlich, dass Du jetzt eine andere Verantwortung trägst. Gleichzeitig kannst Du signalisieren, dass Du das Team nicht allein lassen möchtest.
- Teamregeln etablieren: Gemeinsam erarbeitete Spielregeln können helfen, wieder Vertrauen aufzubauen. Zum Beispiel: „Keine Anschuldigungen, sondern Wünsche äußern“ oder „wir hören uns zu und lassen einander ausreden“.
- Professionelle Unterstützung: Ein (externer) Moderator oder Coach kann helfen, den Prozess zu begleiten und einen geschützten Rahmen zu schaffen.
- Langfristige Maßnahmen: Konflikte lassen sich selten in nur einer Sitzung lösen. Plane regelmäßige Teamentwicklungstage oder Reflexionsrunden ein.
- Eigenen Weg finden: Du bist nicht perfekt, und das erwartet auch niemand. Wichtiger ist, dass Du authentisch und lernbereit bleibst.
Fazit: Gemeinsam aus der Krise wachsen
Konflikte sind keine Katastrophe – sie bringen Chancen mit sich. Du hast die Möglichkeit, gemeinsam mit deinem Team eine neue Grundlage zu schaffen, Vertrauen aufzubauen und Strukturen zu etablieren, die allen zugutekommen. Ja, das kostet Zeit und Kraft. Aber es lohnt sich, denn am Ende steht ein starkes Team, das Dich als Leitungskraft akzeptiert und respektiert.
Nutze diese Situation, um zu wachsen – als Führungskraft, als Mensch.
Veränderung ist nie leicht und mit Mut und Reflexion kannst Du nicht nur Teil des Problems, sondern vor allem Teil der Lösung sein!
Andrea Höddinghaus ist zertifizierte systemische Coachin und begleitet Führungskräfte- und Team-Coachings im Kita-Kontext.

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