Im neuen Teil der Kolumne „Das ist ja wie im Kindergarten“ von Tanja Siepmann geht es um die Vorzüge von positiver Kommunikation, aber auch darum, dass diese für unsere Autorin ihre Grenzen hat und dass es auch möglich sein muss, Tatsachen einfach wieder bei ihrem Namen zu nennen. Viel Spaß beim Lesen!
Ein ganz normales Elterngespräch
Elterngespräch mit Familie Meier. Es gibt viel Positives über die Entwicklung des kleinen Ole zu berichten und dass was sich im Kitaalltag nicht ganz so positiv darstellt, wird wie vom Träger gewünscht, so formuliert, dass es wenigstens positiv klingt. Dass Ole gerne mal herzhaft zubeißt, wenn er in Konfliktsituationen nicht mehr weiterweiß, ist keine von Aggression geleitete Konfliktstrategie, sondern kreatives Verhalten. Dem Ole ist erst einmal zu Gute zu halten, dass er seine Grenzen überhaupt deutlich machen kann. Das Mittel der Wahl kommt bei den Anderen nicht ganz so gut an, daran muss eben noch gearbeitet werden. Wichtig ist, dass der Ole seinen Bedürfnissen Ausdruck verliehen hat. Dass er im Morgenkreis nicht eine Minute stillsitzen kann, heißt übersetzt in Erzieher/-innensprache, dass er einen großen Bewegungsdrang hat. Und wenn Ole, das sich in seinem Mund befindliche Mittagessen, angewidert auf den Teller zurück spuckt, bedeutet es eigentlich nur, dass er seiner Meinung über den Geschmack deutlich Ausdruck verleiht. Den Entwicklungsschub, den er hier gemacht hat, wollen wir deutlich hervorheben, denn vor Wochen hätte er es noch auf den Boden gespuckt.
Ole weiß, was er will
Ole verfügt über einen großen Wortschatz und weiß diesen treffend einzusetzen. Man könnte sogar sagen, dass er in diesem Punkt einer altersgerechten Entwicklung voraus ist. Die Schimpfworte, die er zum Besten gibt, sind eigentlich erst im Schulalter gängig. Oles motorische Entwicklung ist ebenfalls herausragend, anders ist nicht zu erklären, dass er mühelos den Zaun des Außengeländes überwinden konnte. Sein gut entwickelter Orientierungssinn hat ihm anschließend geholfen, vom Kitaparkplatz in die Siedlung zu gelangen. Und nicht zuletzt durch sein offenes Wesen, ist er freimütig, mit einem zufällig vorbeikommenden Passanten, zur Polizeiwache spaziert. Gut, dass er bereits ausreichend Resilienz entwickeln hat, sodass er, dem durch sein Verschwinden völlig aufgelösten Kitapersonal, selbstbewusst entgegentreten konnte. Anschaulich sowie in richtig gewählter Zeitform berichtete er von seiner Fahrt im Polizeiauto.
Die neue positive Kommunikation bringt alle Beteiligten auf Augenhöhe
Ja, schon gut, ich habe wieder maßlos übertrieben und Ole gibt es natürlich nicht. Aber die beschriebenen Verhaltensweisen schon und auch die neue positive Kommunikation in der Pädagogik ist nicht auf meinem Mist gewachsen. In unserer Arbeit als Erzieher/-in ist Kommunikation eines der wichtigsten Werkzeuge. In den letzten Jahren hat sich ein bemerkenswerter Wandel in der pädagogischen Sprache vollzogen, weg von einer rein problemorientierten, defizitären hin zu einer positiven Kommunikation im Umgang mit den Kindern und in Elterngesprächen.
Und ohne Zweifel hat dieser Wandel in der Kommunikation viele positiven Aspekte mitgebracht. Wenn pädagogische Fachkräfte den Eltern auf Augenhöhe begegnen statt sich als überlegene Expertinnen und Experten aufzuspielen, stärkt dies die Partnerschaft zwischen Erzieher/-in und Eltern. Durch die Betonung von Stärken und Erfolgen der Kinder schaffen wir eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und der Zusammenarbeit. Die Eltern fühlen sich gehört und unterstützt, was eine vertrauensvolle Beziehung fördert.
Positive Kommunikation schafft eine unterstützende und förderliche Umgebung für das Wachstum und die Entwicklung von Kindern
Eine liebevolle und unterstützende Kommunikation ist auch für die kindliche Entwicklung förderlich. Sie lernen am Modell (uns), wie man respektvoll miteinander umgeht, kooperiert und Konflikte löst. Sie entwickeln ein Verständnis für die Bedürfnisse anderer und lernen, empathisch zu sein. Sie unterstützt Kinder dabei, ein starkes emotionales Fundament aufzubauen, ihre Gefühle auszudrücken, mit anderen in Beziehung zu treten und mit Herausforderungen umzugehen.
Ohne Zweifel trägt positive Kommunikation dazu bei, eine unterstützende und förderliche Umgebung für das Wachstum und die Entwicklung von Kindern zu schaffen. Und nicht das mich jemand falsch verstehen, auch ich vermeide defizitärer Betrachtung, hebe Stärken hervor und lehne es ab, Kinder nach Raster zu beurteilen. Weg von einer rein problemorientierten hin zu einer positiven Kommunikation im Elterngespräch ist in vielen Fällen gut und hilfreich. Aber ich frage mich auch, wann wir damit aufgehört haben, die Dinge beim Namen zu nennen.
Manchmal wünsche ich mir einfach, deutlich sagen zu dürfen, was Sache ist
Ist die neue Formulierung „kreatives Verhalten“ nicht eigentlich ein positives Maskieren von Handlungen, die eigentlich nicht erwünscht sind, störend wirken oder negative Folgen haben?
Manchmal wünsche ich mir einfach deutlich sagen zu dürfen, was Sache ist, statt darauf hoffen zu müssen, dass Eltern die Botschaft aus meiner pädagogischen Schönfärberei schon richtig verstehen werden. „Ihr Kind beißt Spielpartner/-innen. Seine Frustration hatte Gründe, aber sein Mittel der Wahl ist nicht akzeptabel!“ statt „In Konflikten reagiert ihr Kind mit kreativen Verhaltensweisen!“. Als Mutter wäre es mir jedenfalls lieber gewesen, klar zu wissen was los ist, um dann gemeinsam zu überlegen, wie damit umzugehen ist.
Absolute Formulierungen und Wertungen wie z.B. „immer“, „nie“, „ohne Grund“ versuche ich als pädagogische Fachkraft übrigens in jedem Fall zu vermeiden. Ich persönlich glaube, dass Eltern durchaus mit der Sache an sich konfrontiert werden dürfen, aber keinesfalls mit vorgefertigten Diagnosen, Analysen und Schuldzuweisung. „Der Ole beißt immer die anderen Kinder. Nie sitzt er still im Morgenkreis und das Essen spuckt er ohne Grund auf den Teller zurück, weil er Zuhause immer nur Süßes bekommt“ ist sicher nicht die eleganteste Kommunikationsstrategie. Die beobachtete Situation kurz und ohne Wertung beschreiben, um dann gemeinsam als Expertin für Pädagogik mit den Experten für das Kind auf Spurensuche zu gehen, halte ich jedenfalls für hilfreicher als die Wortschönmalerei.
Pädagogik ist immer im Wandel
Ich mag die neue Sicht auf das Kind und unseren respektvolleren Umgang mit Bedürfnissen. Ich bin absolute Befürworterin von Partizipation. Als alte Häsin frage ich mich einfach manchmal, ob unser Bestreben zur absoluten Neutralität, und dem sich dadurch ergebenden Rückzug aus der Rolle als Leuchtturm, nicht vielleicht manchmal zu weit geht. Für mich persönlich fühlt sich der Beruf der Erzieherin manchmal wie ein Lauf über ein Mienenfeld an. Jede Bewegung, jede Berührung, jedes Angebot, jede Entscheidung, jedes Wort muss wohl bedacht sein und mit den Bedürfnissen und Befindlichkeiten aller Beteiligten abgeglichen werden. Für jede Option finden sich Kritiker und Befürworter. In jedem Fall aber kann mir alles jederzeit um die Ohren fliegen.

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