BAUSTEiNE KiNDERGARTEN

Früher einschulen oder doch lieber warten?

Früher einschulen oder doch lieber warten?, Mädchen mit Schultüte
© Dan Race – Fotolia

„Früher einschulen oder doch lieber warten?“ diese Frage stell sich unsere Autorin Alexandra Reichenberg in der neuen Vorschul-Kolumne.

Vorweg, ich bin ehrlich gesagt keine große Befürworterin des früheren Einschulens, das mir zeitweise inflationär vorkam. Nun mein „Aber“: Es gibt sie natürlich, die berechtigten Ausnahmen, Kinder, die definitiv früher schulreif sind, als der Stichtag ihnen vorgibt. Außerdem scheint in Folge der Corona-Pandemie diesbezüglich auch eine Veränderung eingetreten zu sein und, jedenfalls meiner Wahrnehmung nach, weniger Eltern eine frühere Einschulung ihres Kindes in Betracht ziehen, sogar, ganz im Gegenteil dazu, das Thema der Rückstellung häufiger auftritt. Warum ich hinsichtlich der früheren Einschulung so kritisch bin und den Kindern lieber ausreichend Vorschulzeit geben würde, aber eben die Ausnahmekinder davon nicht außer Acht lassen möchte, dazu im Folgenden ein paar meiner Beobachtungen und Überlegungen.

Lauter Wunderkinder?

Gelegentlich scheint mir dieses immer höher, immer schneller, immer weiter, übertragen auf manche Kinder ein immer begabter, immer besonderer, immer klüger zu sein. Da stellt sich doch die Frage: Warum lassen wir die Kinder nicht einfach erst einmal Kinder sein? Jedes Kind ist gut und besonders, so, wie es ist und das misst sich nicht nur an kognitivem Wissen, sondern an vielen anderen Dingen, wie etwa Selbstständigkeit und emotionaler Reife, mit denen auch der Schulalltag überhaupt erst zu meistern ist. Unsere Welt wird immer schnelllebiger und hektischer, immer mehr mediale Eindrücke visueller und auditiver Art prasseln auf Kinder ein. All dies müssen sie erst einmal verarbeiten und wie können Kinder das besser als beim Spielen, auch in der Kita, bei dem sie zudem unglaublich viele Dinge lernen – und das gilt für alle Wissensbereiche. Stattdessen habe ich häufig den Eindruck, dass das ganz normale Spielen immer mehr verschwindet. Bereits die Freizeit vieler Kindergartenkinder ist komplett mit Angeboten der unterschiedlichsten Art verplant. Das ganz sicher mit guten Absichten der Eltern. Zielgerichtete Freizeitaktivitäten sind ja nicht automatisch etwas Schlechtes, aber sie sollen Kindern auch entsprechen, ihnen Freude und Entspannung bringen, und nicht nur den Fokus auf die Anhäufung von neuem Wissen und neuen Fähigkeiten richten, ohne diese, so vielleicht die Sorge, die dahintersteckt, vermeintlich Defizite entstehen könnten.

Ausnahme oder Regel?

Wie eingangs geschrieben, bin ich eine Skeptikerin, was die frühere Einschulung von Kindern betrifft, aber ich sehe durchaus Ausnahmen. Doch wo beginnt eine solche Ausnahme? Eltern argumentieren häufig damit, dass früher eingeschulte Kinder entsprechend eher die Schule, wie auch Ausbildung oder Studium, beenden. Außerdem erscheint es manchen Eltern so, als ob ihr Kind sich im Kindergarten langweilen würde. Dazu denke ich, dass ein Jahr unbeschwerte Kindheit wertvoller für das Leben ist, als ein scheinbar gewonnenes Jahr, durch eine frühere Einschulung. Zudem sollten Kinder eigentlich keine Langeweile kennen. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass sie gelernt haben, sich aus sich selbst heraus zu beschäftigen und kreativ in einen Spielprozess zu kommen, ob alleine oder mit anderen Kindern und auch Momente der Ruhe für sich nutzen können. Wenn trotzdem einmal ein Leerlauf entsteht, kann das Spielen immer noch mit weiteren Impulsen durch Erwachsene, ob nun in der Kita oder in der Familie ergänzt werden. Sind damit automatisch alle Kinder sogenannte Regelkinder, die passend zum Stichtag eingeschult werden? Die meisten sind es sehr wahrscheinlich schon, so stellt es sich mir jedenfalls dar. Ausnahmen hierzu gibt es aber auch. Vereinzelt sind Kinder weiter als der Durchschnitt. Aber hier muss ganz genau hingeschaut werden. Bezieht sich diese Entwicklung auf das ganze Kind, sowohl auf seine kognitiven Fähigkeiten, wie auch auf seine sozial-emotionale Entwicklung? Denn eines ist sicher, sind Kinder erst einmal in der Schule, kann dies nicht so einfach wieder rückgängig gemacht werden. Ab diesem Zeitpunkt ist er da, der „Ernst des Lebens“. Dies ist wahrscheinlich mit ein Grund dafür, dass, als mögliche Folge der Corona-Pandemie, aktuell verstärkt Eltern sogar über das genaue Gegenteil des früheren Einschulens nachdenken, nämlich die Rückstellung ihres Kindes.

Was tun, wenn Eltern eine frühere Einschulung ansprechen?

Was also nun tun, wenn Eltern das Gespräch zum Thema, bezogen auf ihr Kind, suchen? Eine pauschale Antwort hierzu gibt es nicht. Ich würde den Eltern raten darüber nachzudenken, wie sie sich ihr Kind im Schulalltag vorstellen. Haben sie das Gefühl, dass ihr Kind dort möglichst selbstständig gut bestehen kann? Hat es die notwendigen sozialen Fähigkeiten und die emotionale Reife oder sehen sie Schwierigkeiten? Wenn Eltern das aus diesem Blickwinkel betrachten, und sie sich vor Augen führen, dass mit dem Schuleintritt auch ein sehr endgültiger Schritt vollzogen wird, klärt sich die Frage dazu meist schnell von selbst.

Auf den Punkt gebracht

Also lautet ein Beschluss,
dass der Mensch was lernen muss.
Nicht allein das ABC
Bringt den Menschen in die Höh;
Nicht allein in Schreiben, Lesen
übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen,
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muss man mit Vergnügen hören.
(Wilhelm Busch)

Das Gedicht von Wilhelm Busch bringt auf den Punkt, wie wichtig eine ausgewogene Entwicklung aller Bildungsbereiche für die Kinder ist, nicht zuletzt beim Thema Einschulung.

Kolumnistin Alexandra Reichenberg

Alexandra Reichenberg ist Erzieherin und Kunsttherapeutin. Sie arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Kindergarten- und Grundschulbereich sowie in der Familienbildung.

Alexandra Reichenberg

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