Bestimmt hast Du schon einmal von Kindern in deiner Kita gehört: „Mir ist langweilig!“ Langeweile wird häufig als negativ wahrgenommen, dabei ist sie eigentlich ein erstrebenswerter Zustand. Klingt komisch, ist aber ernst gemeint! Mehr dazu im Beitrag „Von Langeweile, Muße und Kreativität“, dem sechsten Teil unserer Vorschul-Kolumne von Alexandra Reichenberg.
Der Wert der Langweile oder warum Muße kreativ macht
Muße bedeutet „lange Weile“ zu haben, so, wie in dem bekannten Spruch: „Gut Ding will Weile haben“. In einem Zustand der Muße ist der Mensch konzentriert auf sich, aber nicht im vermeintlich produktiven und organisatorischen Sinn, sondern so, dass seine Gedanken in einer scheinbaren Leere fließen können. Ein Zustand, der Raum für Kreativität und neue Ideen bietet, ein „Muss“ für schöpferisch tätige Menschen.
In unserer getakteten und durchorganisierten Zeit, in der Medien omnipräsent sind, jeder ständig erreichbar ist und die Freizeitgestaltung häufig in Stress ausartet, erleben Kinder vielfach vorgefertigte Spiel- und Beschäftigungsangebote, die wenig Spielraum für Fantasie bieten. Engmaschige Tagesabläufe sorgen oftmals dafür, dass Kinder funktionieren müssen, weil der Alltag von Familien sonst nicht organisiert werden kann. Hier ist gezielte „lange Weile“ eine ganz neue Erfahrung und wohltuende Erholung – auch, und besonders, für die Vorschulkinder, die so eine einfache Strategie für schöpferisches Denken erlernen können, welche ihnen zugleich dabei hilft, Anforderungen zu bewältigen und ihre Ausdauer und Konzentration fördert.
Frederick, die kreative, kleine Feldmaus
Ich finde, dass die Betrachtung von „Frederick“, dem wunderbaren Bilderbuch von Leo Lionni, einen guten Einstieg dazu bietet, Kindern den Wert von Muße zu vermitteln. Während im Herbst alle anderen Feldmäuse essbare Vorräte für den Winter sammeln, sitzt Frederick scheinbar untätig auf einem Stein. Aber auch er sammelt, nämlich Sonnenstrahlen, Farben und Wörter für den langen, grauen und kalten Winter. Das stößt bei den anderen Mäusen zunächst auf Unverständnis. Als dann im Lauf des Winters jedoch die essbaren Vorräte zur Neige gehen, ist es Zeit für Fredericks Sammlung. Seine poetische Erzählung von Sonnenstrahlen und Farben bringt Wärme und Licht, fantasievolle Nahrung für die Seele, zu den frierenden Mäusen.
Freispiel, Wolkengucken und tief durchatmen
„Lange Weile“ bedeutet nicht, dass die Kinder nur Löcher in die Luft starren sollen. Vielmehr können sie einen Zustand der Muße auch bei der Ausübung einer Lieblingsbeschäftigung erlangen. Übertragen könnte dies etwa im freien Spiel oder beim Malen oder Bauen geschehen, in dem die Kinder in einen so genannten „Flow“ kommen. Einen Zustand der sich durch die Konzentration auf und die komplette Versunkenheit in eine Tätigkeit auszeichnet. Aber auch bei regelmäßigen kleinen Achtsamkeitsübungen erleben Kinder Muße und die Möglichkeit ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Sie lernen Dinge zu überdenken, sich zu entspannen und ihren Körper bewusst und mit allen Sinnen wahrzunehmen. Probiere es einfach mal mit Deinen Kindern aus, etwa indem Du Dich mit ihnen bei schönem Wetter draußen auf eine Wiese legst und Wolkenbilder schaust. Das Erleben einer Atem-, Yoga- oder Stilleübung ist ebenfalls eine gute Möglichkeit.
Von wegen, einfach nur gespielt!
Ein Austausch mit den Eltern darüber kann ganz neue Perspektiven eröffnen. Schließlich glauben diese häufig, dass eine große Auswahl von Aktivitäten das Nonplusultra für die optimale Entwicklung und Förderung ihrer Kinder ist, oder sie haben ein schlechtes Gewissen, wenn ihre Kinder „nur“ spielen.
Ich denke, regelmäßige Momente der Muße tun gut und schaffen Raum für Kreativität, nicht nur bei den Kindern!
Alexandra Reichenberg ist Erzieherin und Kunsttherapeutin. Sie arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Kindergarten- und Grundschulbereich sowie in der Familienbildung.

Ausgaben passend zum Thema
Von wegen, einfach nur gespielt! (BAUSTEiNE KiNDERGARTEN)
Gesundheit durch mehr Achtsamkeit (BAUSTEiNE KiNDERGARTEN)
Beiträge passend zum Thema
Weiterführende Links
- Zum Buch „Frederick“ von Leo Lionni

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