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Bastel doch mal was Schönes!

Bastel doch mal was Schönes!
© Tasneem H/peopleimages.com – Adobe Stock

In unserer neuen Kolumne „Das ist ja wie im Kindergarten“ berichtet Tanja Siepmann aus ihrem Kita-Alltag und lässt uns an ihrer Gedankenwelt teilhaben. Wir freuen uns auf viele persönliche Einblicke und Alltagsbeobachtungen aus dem Kindergarten-Kosmos. In ihrer ersten Kolumne „Bastel doch mal was Schönes“ geht es um den Raum als dritter Erzieher, um fantasievolle Einhörnchen und darum, was sie Eltern eigentlich gerne mal sagen möchte.

Das berühmte Einhörnchen

„Heute will ich mit Dir ein Einhörnchen basteln“, begrüßt Rieke mich am frühen Morgen beim Betreten des Ateliers. Sie habe auf dem Weg zum Kindergarten eines gesehen, erklärt sie mir ihre selbstbewusste Entscheidung. Donnerwetter, denke ich, Fantasie hat das Kind. Mir ist noch nie ein Einhorn begegnet. Aber kein Problem, ich stelle mich der Herausforderung, wir basteln zusammen ein „Einhörnchen“. In Windeseile gehe ich im Kopf durch, welche Materialien uns zur Verfügung stehen und was sich am besten eignet, um den Körper eines Pferdes zu modellieren. Denn machen wir uns nichts vor, realistisch betrachtet ist ein Einhorn auch nur ein Pferd mit Horn auf der Nase.

Ich schlage Rieke verschiedenen Optionen vor, um den Grundriss entstehen zu lassen, und weil mir ihre niedliche Wortkreation so gut gefällt, übernehme ich sie und spreche die ganze Zeit von einem „Einhörnchen“. Impulsarbeit war, zu der Zeit in der ich im Atelier eingesetzt war, unsere bevorzugte Methode. Wir wollten weg von der angeleiteten Bastelarbeit, hin zum freien, kreativen Schaffen. Die Kinder sollten sich ausleben können und ihre Ideen nach ihren eigenen Vorstellungen umsetzten dürfen. Meine Kollegin und ich sahen uns in der Funktion als Begleiterin und Unterstützerin. Keinesfalls wollten wir Bastelangebote bei denen 25 Kinder das gleiche Ergebnis in Händen hielten. Die Umstellung dauerte einige Monate, aber gelang schließlich. Wir hielten uns inzwischen für Meisterinnen der Zurückhaltung.

Oder ist es doch ein Eichhörnchen?

Zurück zu Rieke, dem Einhörnchen und mir. Ich schlage ihr eine Papprolle als Unterbau vor und um den Extremitäten Stabilität zu verleihen, Holzstäbchen, die in die Rolle gesteckt werden. Rieke wünscht sich Gipsbandagen um den Körper aus zu modellieren. So arbeiten wir einige Zeit emsig zusammen. Rückblickend betrachtet ist es eventuell möglich, dass ich mich zu sehr hineingesteigert habe und in meiner Rolle als Unterstützerin etwas übers Ziel hinausgeschossen bin. Aber hey, es hat sich gelohnt, denn unter unseren Händen formt sich so langsam der Körper eines Pferdes. Der lange Hals ist deutlich zu erkennen, ebenso, wie vier schlanke Beine, die bereit sind über die Prärie zu galoppieren, oder wo „Einhörnchen“ sonst so langlaufen. Kurz, wir kommen gut voran. Für Kopf und Horn habe ich schon einige tolle Ideen, die ich Rieke gleich vorschlagen will.

Wir kommen ins Plaudern und Rieke erzählt mir nähere Details von ihrer morgendlichen „Einhörnchen“ Begegnung. „Weißt du Tanja, als wir heute Morgen zum Kindergarten gelaufen sind, da sprang das Einhörnchen von einem Baum zum anderen Baum.“ Ach, denke ich noch anerkennend, Einhörner können auch auf Bäume klettern. Sie berichtet anschaulich weiter, dass es dort unterwegs war um Nüsse für den Winter zu sammeln. Da dämmert es mir langsam. Und als sie schließlich fragt, wann wir den buschigen Schwanz basteln, wird mir mein Irrtum vollends klar. „Rieke“, frage ich vorsichtig, „meinst du ein Einhorn oder ein Eichhörnchen?“ „Ja, ein Eichhörnchen“, antwortet sie und schwenkt dabei fröhlich unser „Einhörnchen“ durch die Luft.

Es ist eine Kombination aus Einhörnchen und Eichhörnchen

Spoiler Alarm: Ich habe die Kurve noch gekriegt und am Nachmittag trägt Rieke ein spitzes Eichhörnchen nach Hause. Ja, eventuell hat sein Körperbau etwas Ähnlichkeit mit dem eines Pferdes. Aber der buschige, rote Schwanz macht allen Zweiflern klar, dass sie es hier eindeutig mit einem Nager der Gattung Eichhörnchen zu tun haben! Ich muss allerdings zugeben, dass meine Lernkurve an diesem Tag vermutlich steiler angestiegen ist, als die von Rieke.

Unser Konzept der Impulsarbeit geht für die Kinder voll auf

Zu Beginn der Umstellung war der Funktionsraum für Kreativangebote nur wenig frequentiert. Bis auf die üblichen Prinzessinnen Malerinnen verirrten sich nur wenig Kinder zu uns. Wir fragten uns, woran das lag. Der Raum als dritter Erzieher, der durch seine ansprechende Gestaltung eine Einladung an die Kinder aussprechen sollte, kam uns in den Sinn. Und genau diese Erinnerung brachte die Wende. Aus dem Kreativraum wurde ein Atelier. Wir installierten eine Materialbar, an der die Kinder sich frei bedienen durften. Ansprechend ausgestellt rufen die Materialien jetzt in den Regalen schon von weitem: „Lass uns was zusammen machen, ich habe das Material und du die Idee!“ Große Leinwände und Farbregale laden zur kreativen Arbeit ein, und zwar nicht, wenn die Erzieherin gnädiger weise die Wasser- oder Fingerfarben aus dem Schrank holt, sondern immer, wenn die Kinder Lust dazu verspüren. Bildbände von berühmten Künstler/-innen liegen zur Inspiration bereit und den kindlichen Werken wird dieselbe Wertschätzung entgegengebracht wie die der großen Meister. Sie werden in der Einrichtung in Vitrinen, Regalen und an den Wänden ausgestellt.

Nicht das Ergebnis zählt, sondern der Prozess

Meine innere Mitte als Erziehrinnen habe ich übrigens gefunden, als ich die Kinder in Vorbereitung auf solch eine Ausstellung begleiten durfte. Abstrakte Kunst auf Leinwände war unser Motto und roter Faden. Während des Malprozesses beobachtete ich bei den Kindern, dass es immer einen Zeitpunkt gab, an dem die Farbkombination ihrer Werke (in meinen Augen) perfekt war. Um das Ergebnis zu konservieren, hätte ich ihnen an diesem Punkt, am liebsten Pinsel und Farbe entrissen und das Angebot für beendet erklärt. Einhörnchen erprobt wie ich war, habe ich mich aber zurückgehalten. Nicht das Ergebnis zählt, sondern der Prozess, habe ich mir mantraartig vorgebetet. Ich habe mich auf meine Hände gesetzt und die Lippen fest zusammengepresst. Es kam ausnahmslos bei jedem Kind so wie es kommen musste. Sie haben sich kreativ ausgetobt, jede Farbe großzügig verwendet und auf der Leinwand lustvoll miteinander vermischt. Was passiert, wenn man alle Farben mischt? Richtig, das Werk endet in einem Farbspektrum zwischen Natogrün und Erdbraun. In unserer Ausstellung befanden sich später überwiegend natogrüne Exponate, was ja auch ein roter Faden sein kann.

„Think big“ bei der Materialauswahl

Wir haben unsere Rolle als (Material)Schatzhüterinnen aufgegeben. Um Missbrauch und Verschwendung von Rohstoffen entgegenzuwirken, entwickelten wir gemeinsam mit den Kindern Regeln, welche Mengen der beliebten Glitzersteine oder Sticker, pro Kind, Kunstwerk oder Tag entnommen werden können. Sogenannte wertlose Stoffe, zeigen sich alles andere als wertlos und stehen, gespendet von den Eltern, in Hülle und Fülle zur Verfügung. Papprollen, Umverpackungen, Dosen, Schachteln, Kunststoffverpackungen, alte CDs, alles wird von den Kindern kreativ verarbeitet. Große Kartons erfreuen sich dabei besonders großer Beliebtheit.

Mühsam werden mit kleinen Bastelscheren Löcher in die harte Pappe geschnitten. Fingerfarben und Wachsmaler bringen Farbe ins Spiel. Perlen, Glitzer, Wolle und Stoffreste finden unter höchster Konzentration und mithilfe von Klebestiften ihren Platz. Schuhkartons werden zu Briefkästen und an der Fassade angebrachte Flaschendeckel zu Türklingeln.

So verwandeln sich Kartons in Häuser, die bezogen werden, Besucher/-innen gehen ein und aus, Hunde werden aufgenommen, Väter gehen zur Arbeit und irgendjemand ist jetzt wohl das Baby.

Sie werden zu Feuerwehrautos, deren Besatzung Großbrände löscht und Katzen vom Dach rettet.

Sie gehen als Piratenschiffe auf große Fahrt, bei der mit Klorollenfernroheren nach einsamen Inseln Ausschau gehalten wird und nach Schätzen gesucht wird.

Nur leider endet die Magie für viele zum gleichen Zeitpunkt. Am Nachmittag, wenn die Kinder abgeholt werden. Dann wenn sie ihren Eltern mit Stolz präsentieren, was sie geleistet haben, mit der Hoffnung, die Abenteuer zu Hause fort führen zu können. Mit nur einem Satz, aus dem Mund von Mutter oder Vater, verwandelt sich das Feuerwehrauto, das Haus oder das Piratenschiff wieder in einen wertlosen Karton zurück. „Der Karton bleibt hier, du musst den ja später nicht zum Altpapier bringen!“

Nicht selten folgt diesem Vernichtungssatz noch die freundliche Aufforderung „Bastel doch  mal was Schönes!“.

Ich hole tief Luft und tobe …

„Hier geht’s nicht darum etwas zu basteln, was Sie schön finden und dekorativ in ihrer Wohnung ausstellen können. Wenn Sie Deko brauchen, dann fahren Sie zum schwedischen Möbelhaus oder zum Dekorationshaus Hinz und Kunz. Ihr Kind hat den ganzen Tag an diesem Werk gearbeitet. Haben Sie schon mal Löcher mit einer Kinderbastelschere in Karton geschnitten? Da kriegt man Blasen von. Wissen Sie eigentlich wie schwer es war die Perlen mit dem blöden lösungsmittelfreien Bastelkleber an den Karton zu kleben? Der hält doch nix und man muss die Perle Minuten lang festhalten, damit sie kleben bleiben. Und überhaupt, das ist kein Karton, sondern ein Haus! Da hat heute eine ganze Familie drin gewohnt, ein Baby ist geboren und ein herrenloser Hund hat endlich ein Zuhause gefunden. Sie sollen das ja jetzt gar nicht zum Altpapier bringen. Ihr Kind will das bei sich zu Hause haben und damit spielen. Zwei, drei Tage, höchstens eine Woche, dann ist es vermutlich sowieso kaputt gespielt und Sie können es gemeinsam zum Altpapier bringen. Den leeren Karton hierher zu bringen war für Sie doch auch kein Problem!“ … Innerlich!

Äußerlich gebe ich mich voller Verständnis für beide Parteien, versuche zu vermitteln und biete schließlich an, das Haus, das Feuerwehrauto oder das Schiff im Nebenraum aufzubewahren.

Gleich ist Feierabend und ich bin ja auch nur ein Mensch. Aber im nächsten Leben, da werde ich Einhörnchen.

Kolumnistin Tanja Siepmann

Tanja Siepmann ist Erzieherin und freie Autorin.

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